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Ian D. Fowler

Uhrenrestaurator u. Uhrenhistoriker

Fach Artikel


Deutsche Viertelstundenschlagwerke mit 2 koaxialen Rechen.

Im 18. Jh. findet man Hausuhren mit Viertelstundenschlag häufiger aus Süddeutschland, Österreich, der Schweiz und Italien als aus England, Frankreich, und Skandinavien. Nach der Erfindung des Rechenschlagwerks von Barlow c. 1676 konnte das Selbstschlagwerk mit einer Repetition auch kombiniert werden, damit die Hausuhr auch bei Dunkelheit akustisch brauchbar war. Auch diese Möglichkeit wurde in den deutschsprachigen Ländern, der Schweiz und Italien eher wahrgenommen. In Frankreich wurde das altertümliche Schlossscheibenschlagwerk in Pendulen bis Ende des 19. Jh. meistens beibehalten. Bei den ländlichen, gewichtsangetriebenen Comtoise-Uhren wurden die Vorzüge des Rechenschlags auch in Frankreich erkannt und angewendet.

Uhren mit Viertelstundenschlag haben meistens 3 Getriebeketten (Räderwerken):- Gehwerk, Viertelstunden und Stunden wie bei den weitverbreiteten österreichischen Stutzuhren und auch repräsentativen, süddeutschen Bodenstanduhren (s. Bilder Kadratur und Zifferblatt einer Bodenstanduhr sign. Holländer / Oberhausen bei Augsburg Bild 1 / 2).

Bild 1

Bild 1. Die Vorderplatine und Kadratur der Uhr von Holländer. Diese Art erscheint sehr häufig besonders in Süddeutschland und Österreich in Bodenstanduhren, Stutzuhren und Pendulen des 18. und 19. Jahrhunderts sowohl mit einfachem als auch vollem Viertelstundenschlag. Diese Art Uhren haben immer 3 Aufzugslöcher, da sie über separate Räderwerke jeweils für die Viertelstunden und die vollen Stunden verfügen.

Bild 2Bild 2. Das prächtige Zifferblatt der Uhr von Holländer im typischen, süddeutschen Rokokostil.

Das System wurde schon im 17. Jh. in England auch verwendet und es ermöglicht auch eine problemlose Repetition. Man hatte einen Rechen für das Viertelschlagwerk und einen Rechen für das Stundenschlagwerk und für jeden Rechen ein separates Räderwerk.
Bei den häufigsten Neuenburger (Schweiz) Uhrwerken findet man ein zuverlässiges Viertelstundenschlagwerk (s. Bilder Rückplatine und Vorderansicht einer typischen Neuenburger Pendule) mit nur einem Räderwerk, das allerdings keine Repetition erlaubt, denn auf der einen Staffel sind alle Viertelstunden über 12 Stunden eingeteilt. (Deshalb haben viele sog. Neuenburger Werke eine separate Viertelstundenzugrepetition.) 

Bild 3

Bild 3. Die Rückplatine eines typischen Neuenburger Werk mit Viertelstundenschlagwerk, (bzw "Selbstschlag" nach Crott-Katalogen) auf der linken Seite, und separatem Viertelstundenrepetitionswerk auf der rechten Seiten. Die Viertel- und vollen Stunden werden zwar von nur einem Räderwerk ausgeführt, aber die große Staffel mit allen Viertelstundeneinteilung für 12 Stunden erlaubt keine Repetition.

Bild 4

Bild 4. Das Gehäuse und Konsole einer typischen Neuenburger (Neuchâtel) Pendule. Die Antriebsfedern dieser Uhren sind fast ausnahmslos datiert und signiert von G(édéon) Langin.

Aber Gegenstand der Untersuchungen in diesem Artikel ist das Viertelstundenschlagsystem in verschiedenen Ausführungen mit nur einer Getriebekette (einem Räderwerk) für das ganze Schlagwerk (Viertelstunden und Stunden). Sichtbar sind also nur 2 oder sogar 1  Aufzugslöcher / Aufzugsloch im Zifferblatt oder nur 2 Antriebsgewichte. Man sparte damit eine ganze Getriebekette (Räderwerk). Man lagerte die 2 Rechen auf einer Achse (also koaxial) und sie wurden von einem Räderwerk über einen Schöpfer gezählt. Allerdings mussten die Hämmer/den Hammer (s.u.) auf die entsprechende Glocke für Viertel oder Stunden schlagen und genau zur richtigen Zeit meistens durch den Viertelrechen (s.u.) geschaltet werden. Außerdem konnte man die Viertelstunden und vollen Stunden repetieren. Dieses System mit 2 koaxialen Rechen findet man in Uhren aus der 2. Hälfte des 18. Jh. am häufigsten in Franken (Raum Würzburg und Bamberg), Spessart und Odenwald, Raum Frankfurt, in der Pfalz (Neustadt / Weinstraße und Kurpfalz, Mannheim / Heidelberg), sowie Neuwied, obwohl vereinzelte Beispiele aus anderen Gegenden, sogar Wien,  auftauchen. (Außerdem kennt man ein ähnliches System mit 2 Rechen in französischen Reiseuhren mit Grande Sonnerie des späten 19. Jh., das man hier außer Acht lassen kann, und auch in seltenen komplizierten Neuenburger Werken.) Es gibt deutsche Tisch- und Bodenstanduhren mit diesem System; je nach dem welche Art in der entsprechenden Gegend damals modisch war. Z. B. in Franken bevorzugte man die Tischuhren wie in Frankreich aber im Norden oder in der Pfalz die altertümlichen, wenn auch wesentlich robusteren Bodenstanduhren als Hausuhren wie in England.  Da das kombinierte Viertel- und Stundenschlagwerk (198 Schläge in 12 Stunden) wesentlich öfters als das gewöhnliche Stundenschlagwerk (78 Schläge ohne die Halbstunden, 90 Schläge mit den Halbstunden) schlug, mussten die Übersetzungsverhältnisse bei der Verzahnung gegenüber einem normalen Viertelstunden- oder Stundenschlag modifiziert werden. (Man findet meistens mehr Stifte am Hebnägelrad.)
Wie schon angedeutet, erscheint eine Ausführung dieses Systems mit einem einzelnen Hammer an signierten und unsignierten Uhren aus dem fränkischen Raum, obwohl die betreffenden Uhrmacher dieses System nicht ausschließlich verwendet haben. Z. B. Georg Schmidt in Bamberg, Schwiegersohn von Leopold Hoys, hat es gelegentlich verwendet, aber man kennt viele von ihm signierte Uhren mit dem üblichen Viertelstundenschlag über 2 separaten Räderwerken (3 Aufzugslöchern). 


An folgendem Beispiel bei einer Uhr von Baumgartinger in Mergentheim kann die Funktion verdeutlicht werden (s. Bild 5 und Zeichnung 1).

Bild 5
Bild 5. Vorderplatine und Kadratur des Werks einer fränkischen Tischuhr signiert Johann Erasmus Baumgartinger in Mergentheim. Links die 2 koaxialen Rechen und oben der einzelne Hammer. Die Auslösung ist springend. Der lange, horizontale Hebel wird zur vollen Stunde erst gehoben, damit der Stundenrechen fallen kann, und dient auch als Repetionshebel.

Bild 6
Bild 6. Ansicht des Baumgartinger Werks von der linken Seite. Rechts direkt an der Vorderplatine ist der Viertelrechen sichtbar, der nach dem erfolgten Viertelstundenschlag die Hammerwelle nach oben kippt.

Zeichnung 1Zeichnung 1

Die Viertelstundenstaffel befindet sich am Minutenrohr und die Stundstaffel an einem Stern wie üblich. Das Schlagwerk hat nur einen Hammer H, der zuerst nur die Viertelstunden an der einen Glocke G 1 und dann nach einer Verschiebung die Stunden auf der anderen Glocke G 2 schlägt. Stunden- RS und Viertelstundenrechen RV sind koaxial lagert. Eine Verlängerung des Viertelstundenrechens am linken Ende kippt nach dem letzten Viertelstundenschlag die Hammerachse A, damit die Stundenschläge an der anderen Glocke ertönen. Die Hammerachse wird nicht direkt vom Hebnägelrad betätigt sondern über eine zweite Achse, an der eine Art Gabel den Hammerstiel hebt. Ein Schöpfer greift in die Zähne beider Rechen, wobei der Stundenrechen erst nach dem letzten Viertelstundenschlag von der Rechenklinke gehalten wird. Entweder ist die Einfallsklinke wie hier gestuft oder nach dem letzten Zahn in dem Viertelrechen ist eine Vertiefung, so dass die Klinke tiefer fallen kann. Der Stundenrechen wird nur zur vollen Stunde über einen Sperrhebel freigegeben, der in Verbindung mit dem Zeigerwerk steht. Dieser Hebel fungiert meistens auch als Auslösung für die Repetition, denn, wenn er höher gehoben wird, löst er die Rechenklinge aus. Diese Uhr hat eine springende Auslösung wie bei den üblichen süddeutschen und österreichischen Uhren 2 Getriebeketten für das Schlagwerk (also mit 3 Aufzugslöchern), damit die Möglichkeit der Repetition nicht durch den Vorlauf einige Minuten vor der viertelstündlichen Auslösung behindert wird. Jedoch gibt es Beispiele von Uhren mit Schlagwerksauslösung mit Vorlauf.

Die Ausführung des Schlagwerkssystems wie bei der Baumgartinger-Uhr mit einer Getriebekette, 2 vertikal gelagerten Glocken, einem Hammer, und 2 koaxialen Rechen, in die nur ein Schöpfer greift, erscheint vereinfacht und sparsam gebaut gegen über den weit verbreiteten Werken mit 2 Getriebeketten (3 Aufzugslöchern) für das Viertelstundenschlagwerk. Nichtsdestoweniger ist die Einstellung des Räderwerks kritisch, sonst schlägt die Uhr unzuverlässig. Da der Schöpfer in diesem Fall von einem  Stift am Stundenrechen gehalten wird, muss auch bei allen Viertelstunden der Stundenrechen trotz Sperrhebel leicht fallen. Beim vollen Stundenschlag und bei der Repetition muss der letzte Schlag des Viertels erfolgen, bevor der Schöpfer den letzten Zahn des Viertelrechens weiter bewegt hat. Wenn der Viertelrechen sich schon vor dem letzten Schlag in seiner Endposition befindet, schlägt der Hammer auf die Stundenglocke, weil der Viertelrechen die Hammerwelle bereits gekippt hat, und somit fehlt der letzte Viertelschlag und ein Stundenschlag zu viel ertönt. Leider findet man viele Werke mit einem solchen Schlagwerk, die sehr verrepariert wurden, weil der Reparateur (Uhrmacher, Amateur, sowie Sammler gleich) das System nicht verstanden hat.

Josef Pracht, Uhrmacher in Kaufbeuren 1756 - 1798,  baute u.a. auch eine Telleruhr mit diesem System (s. Bilder Kadratur und ganze Uhr). Telleruhren waren in der ersten Hälfte des 18. Jh. im Raum Augsburg als Hausuhr sehr beliebt. Sie hatten den Vorteil, dass man sie im Haus vom Raum zu Raum problemlos herumtragen konnte. Wenn man diese Uhr von Pracht um 1780 datieren muss, wirkt sie etwas altertümlich für die Zeit. (In ländlichen Gegenden wurden altertümliche Stile länger beibehalten. Die Verwendung eines Emailzifferblatts bei Großuhren, was erst Mitte des 18. Jh. aufkam, wirkt auch ungewöhnlich bei einer Telleruhr.) Das Werk wirkt im Vergleich fortschrittlicher. Pracht verwendet das Viertelschlagwerksystem mit 2 koaxialen Rechen und einem Hammer wie oben beschieben. Um die Werkskomponente noch sparsamer zu halten, verwendet er ein einzelnes Federhaus für den Antrieb von Geh-und Schlagwerkgetriebeketten; also nur ein Aufzugsloch.

Es gibt auch Exemplare von Werke mit 2 Hämmern, wo eine Welle axial verschoben statt gekippt wird ähnlich wie bei Neuenburger Schlagwerken oder hier an einem unsignierten Bodenstanduhrwerk (s. Bild Kadratur). Die Anordnung in diesem Fall ist zwar spiegelverkehrt aber die Funktion gleich. Der Schöpfer wird hier nicht von einem Stift am Stundenrechengehalten, um das Schlagwerk nach dem letzten Schlag zu arretieren, sondern die Rechenklinke fällt danach etwas tiefer und durch eine Aussparung in der Vorderplatine engagiert einen Stift am Vorlaufsrad.

Aus der Pfalz sind signierte und unsignierte Beispiele erhalten, z.B. in einer Standuhr von Müller in Mannheim (s. Bilder 7 / 8, Vorderplatine).

Bild 7
Bild 7. Die Kadratur der Uhr von Müller. Sichtbar sind die 2 koaxialen Rechen mit dem Viertelrechen unten. Eine seitliche Verlängerung links verschiebt die Hammerwelle.

Bild 8
Bild 8. Ansicht der Müller-Uhr von links. Sichtbar ist der Viertelrechen mit Verlängerung, die durch einen keilartigen Ansatz die Hammerwelle axial nach dem letzten Viertelstundenschlag verschiebt.

Grundsätzlich handelt es sich um dasselbe Prinzip aber der Sperrhebel für den Stundenrechen befindet sich an einer anderen Stelle und ist nicht mit der Repetition kombiniert. Auf der Rückplatine sind 2 Hämmer in einem Block gelagert, die von einem Hebel gehoben werden, der auf einer Achse fixiert  ist, die vom Viertelstundenrechen verschoben wird. In diesem Fall wird für die Viertelstunden der Hammer für die kleine Glocke betätigt und zur vollen Stunde werden beide Hämmer gleichzeitig betätigt: ein sehr seltenes Beispiel für einen Stundenschlag auf 2 Glocken gleichzeitig außerhalb dem Bergischen, Sauerländer / Siegerländer Raum. In diesem Werk von Müller in Mannheim werden durchweg Hohltriebe verwendet. Hohltriebe (s. Bilder 9 / 10 ) großer Hohltrieb, offener Hohltrieb) sind ein typisches Merkmal für Uhren der Familie Möllinger (s.u.) aus Neustadt / Haardt (heute Weinstraße) und Uhrmacher aus anderen Städten, die nachweislich bei Möllinger gearbeitet hatten (z.B. Hoff / Frankfurt, Alt / Simmern, Braun / Eberbach sowie die anderen Odenwälder Uhrmacher,).

Bild 9
Bild 9. Ein offner Hohltrieb aus einer Uhr von Möllinger / Neustadt. Die Stifte reichen tief in dem Messingbutzen des Ankerrads.

Bild 10
Bild 10. Ein geschlosser Hohltrieb.

Über den Uhrmacher Müller in Mannheim ist näheres nicht bekannt aber eine Verbindung zu Möllingers in Neustadt oder Zweibrücken ist durchaus denkbar. Auch Söhne von Jakob Möllinger aus Neustadt (1695- 1763) waren in Mannheim tätig.


Die Familie Möllinger verwendete das Viertelstundenschlagwerksystem mit 2 Rechen in verschiedenen Ausführungen. In einem komplizierten Standuhrwerk mit Glockenspiel wird die Achse des Hebnägelrads für das kombinierte Viertelstundenschlagwerk statt der Hammerwelle verschoben. Diese Uhr war sicherlich für einen wohlhabenden Kunden bestimmt.
Für das Bürgertum baute jedoch Möllinger einfachere 30 Stunden Bodenstanduhren auch mit diesem Viertelstundenschlagsystem.

Möllinger führte anscheinend noch eine andere Variation dieser Ausführung ein. Er verzichtete auf den üblichen Schöpfer, der sonst ein integraler Teil des Rechenschlagsystems ist. Auf eine Verlängerung der Welle, die von den Stiften am Hebnägelrad gehoben wird und den Hammer führt, befindet sich ein Hebel mit einem Gelenk, das auch einen langen, horizontalen Hebel lose trägt. Dieser Hebel  greift in die Zähne beider Rechen ein. Jedes Mal wenn der Hammer herausholt, wird ein Zahn an den Rechen weiter geschoben, Die Zähne werden von einer Rechenklinke in der übliche Art gehalten. Die Arretierung des Schlagwerks nach dem letzten Schlag erfolgt auch über der Rechenklinke wie in dem Werk von Müller / Mannheim (s. Bilder 7 / 8)

Auch diese Ausführung erscheint auch in anderen Uhrentypen; z.B. in einer Stutzuhr um 1770 nach englischem Vorbild aber mit einem frühen Neuenburger Emailblatt (s. Bilder Vorderplatine und Gehäuse).

Bild 11
Bild 11. Die Vorderplatine der anonymen Uhr in Schloss Weilburg. Wie bei der Uhr von Müller wird die Hammerwelle durch eine Verlängerung am Viertelrechen verschoben. Dieses System vefügt über keinen Schöpfer! Die Rechenzähne werden durch eine Klinke auf einem Gelenk weitergeschaltet, der von der Achse der Hammerwelle getragen wird.

Bild 12
Bild 12. Ansicht der Kadratur von oben. Diese Bauweise findet man an signierten Uhren von Möllinger / Neustadt und Henn / Odernheim. Obwohl es kein von Möllinger signiertes Beispiel dieser Art Uhr gibt, könnte man auf Grund des Alters und stilistischer Merkmale diese Möllinger zuschreiben.

Bild 13
Bild 13. Das Gehäuse der oben beschriebenen Uhr. Es handelt sich um ein frühes Beispiel eines Neuenburger Emailzifferblatts.

Das Achttagewerk hat einen Antrieb mit Schnecke und Darmsaite, Hohltriebe, und rückführenden Ankergang mit einem ungewöhnlichen, kleinen Anker. Obwohl die Uhr unsigniert ist, kann man sie entweder der Familie Möllinger oder einem (früheren) Mitarbeiter zuordnen. Die Uhr steht heute in Schloss Weilburg an der Lahn. Die Grafen von Nassau-Weilburg hatten auch Besitztümer in der Pfalz, z. B. Kirchheimbolanden. Im Schloss ist eine große Turmuhr von Schiffmann in Kirchheimbolanden datiert 1787.

Ein Rechenschlagwerksystem ohne Schöpfer in dieser Art baute auch Brocot in der ersten Hälfte des 19. Jh.. Ob Brocot das System von Möllinger gekannt hatte, ist fraglich.

Verwandt mit der Familie Möllinger war die Familie Kinzing in Neuwied. Eine gegenseitige Befruchtung von Ideen fand offensichtlich statt. Peter Kinzing (1745-1816) soll in den sechziger Jahren bei Josef Möllinger in Zweibrücken gearbeitet haben, und David Möllinger aus Mannheim kam 1780 mit 22 Jahren nach Neuwied und arbeitete bei Achenbach. Uhrwerke mit Viertelstundenschlag mit 2 koaxialen Rechen und einer Getriebekette findet man in Bodenstanduhr- und Tischuhrwerken. Sie stammen anscheinend aus der Zeit ab 1770 und später. Die früheren Viertelstundenschlagwerke hatten separate Getriebeketten (Räderwerke) für Viertel und Stundenschlag (z. B. die astronomische Uhr im Goethe Haus in Frankfurt).

Das Neuwieder Viertelstundenschlagwerk mit 2 koaxialen Rechen (s. Bild 14)

Bild 14
Bild 14. Die Vorderplatine und Kadratur eines Bodenstanduhrwerks signiert KINZING NEUWIED auf einer Emailkartusche im Zifferblattarkus. Sichtbar sind die 2 Rechen sowie die Anbringung eines L-förmigen Hebels mit einem löffelförmigen Ansatz oben links. (Das Werk verfügt auch über einen ewigen Kalender mit dem 4-jahresrad mittig auf der Zeigerachse.)

basiert in etwa auf dem System wie bei Müller / Mannheim (s.o.) mit Verschiebung statt Kippung der Hammerachse aber mit einem bedeutenden Merkmal: - die Verlängerung des Viertelrechens betätigt nicht direkt die Hammerachse sondern einen L-förmigen Hebel mit einem löffelartigen Ansatz, der an einer Achse auf einem Winkel auf der Vorderplatine gelagert ist (s. Bild 15).

Bild 15
Bild 15. Seitliche Ansicht des Kinzing-Werks: sichtbar ist die Hammerwelle, die von dem löffelartigen Ansatz nach dem letzten Viertelstundenschlag verschoben wird.

Diese Modifizierung ist  eine deutliche Verbesserung, die den Druck auf dem Viertelrechen entlastet. Andere Uhrmacher im Neuwieder Raum u.a. Achenbach, Roetig / Hachenburg, Pilgrim / Kaub, Joste / Koblenz verwendeten dieses System. Eine Reihe Werke von den Neuwieder Uhrmacher haben ein gemeinsames Federhaus für Geh- und Schlagwerk auch Viertelstundenschlag mit 2 koaxialen Rechen -  wie bei der Uhr von Pracht.

Ein besonderes Beispiel einer Tischuhr mit einem solchen Viertelstundenschlagwerk ist die Uhr signiert "Frid: Aug: Pilgrim à Caub".

Bild 16
Bild 16. Rückplatine mit Kadratur der Tischuhr signiert auf dem Zifferblatt
Frid: Aug: Pilgrim à Caub. Die Kadratur entspricht der üblichen Neuwieder Art, jedoch spiegelverkehrt angeordnet, da sie sich auf der Rückplatine befindet.


 Bild 17
Bild 17: Nahaufnahme der Rechen. Sichtbar sind die Verlängerung des Viertelrechens, der l-förmige Hebel mit löffelartigen Ansatz (rechts) auf einer Achse an einem Messingwinkel gelagert, sowie ein langer, gebogener Hebel, der nur zur vollen Stunde gehoben wird und den Stundenrechen freigibt.

Bild 18
Bild 18. Das Gehäuse der Pilgrim-Uhr, das der Roentgen Werkstatt zugeschrieben werden kann.

Obwohl die frühen Siegerländer Bodenstanduhren einer Neuwieder Vorlage zu Grunde liegen, (der Neuwieder Uhrmacher Achenbach stammte aus Marienborn bei Siegen und war Halbvetter von Spies), übernehmen sie das Viertelstundenschlagsystem der Neuwieder Uhrmacher nicht. (s. Bilder).

Bild 19
Bild 19. Die Vorderplatine und Kadratur einer Bodenstanduhr signiert auf dem Zifferblatt Spies in Siegen. Sichtbar sind die 2 Rechen und die Auslösung. Die Verschiebung der Hammerwelle erfolgt durch den Rechenklinke und nicht, wie sonst, durch den Viertelrechen.

Bild 20
Bild 20. Nahaufnahme der Rechenklinke: sichtbar ist die gestufte Klinke, die eine unterschiedliche Höhe einnimmt, je nachdem sie in welchen Rechen eingreift. Der nach unten führende keilförmige Ansatz überträgt diese Differenz als Verschiebung der Hammerwelle. Das System ist allerdings nicht so zuverlässig.

Bild 21
Bild 21: Das Zifferblatt der Uhr von Spies. Durch den Zeiger im Arkus kann das Schlagwerk auf Viertelstundenschlag, Stundenschlag oder Ruhe eingestellt werden (in französisch!).

Im Gegensatz zu allen anderen Ausführungen des koaxialen Viertelstundenrechenschlags benutzen die Gebrüder Spies in Siegen und Stahlschmidt in Freudenberg,  die Rechenklinke, um die Hammerwelle zu verschieben. Die Rechenklinke ist auf einer Welle fixiert, die zwischen den Platinen gelagert ist. An der Welle befindet sich zwischen den Platinen ein Hebel, der in einen Stift auf dem Schöpferrad eingreift, um das Schlagwerk nach dem letzten Schlag zu arretieren (wie bei den französischen Pendulen von Japy u.a. aus der 2. Hälfte des 19.  Jh.).  An der Rechenklinke selber befindet sich ein zweiter, vertikaler Hebel, der nach unten ausragt und auf dessen Rückseite in die verschiebbare Achse der Hammerwelle eingreifen kann. Nach dem letzten erfolgten Schlag der Viertelstunden fällt die Rechenklinke etwas tiefer, damit der Schöpfer den Stundenrechen zählen kann.  Gleichzeitig streift die Unterseite des vertikalen Hebels den überstehenden Zapfen der Hammerwelle und schaltet somit die Hämmer. 

Zusammenfassung.
Wer der erste Uhrmacher war, der dieses System angewendet hat, oder wann es entstanden ist, bleibt unbekannt. Aber die ältesten Beispiele stammen vielleicht von Möllinger (gestorben 1763). Wenn die Werkskomponenten handwerklich gut ausgeführt und im Zustand noch voll funktionsfähig sind, erscheint das System sehr ingeniös und sparsam zugleich. Außerdem erübrigt sich ein Räderwerk und Antrieb (Feder oder Gewicht). Jedoch wenn das Werk handwerklich ungenau gearbeitet wurde oder sukzessive Generationen von Uhrmachern mit zweifelhaftem Erfolg daran gearbeitet haben, bereiten solche Werke große Probleme für den heutigen Restaurator. (Die Uhren mit 2 Räderwerken für das Schlagwerk - also mit 3 Aufzuglöchern - sind oft besser erhalten.) Entweder muss er Teile komplett neu anfertigen, deren Form oft nicht eindeutig genau rekonstruierbar ist, wenn zu viel verändert worden ist, und was außerdem einen großen Eingriff in die originale Substanz bedeutet. Oder man muss den verschlissenen Zustand und die entstehende Unzuverlässigkeit akzeptieren. Der Uhrensammler und private Eigentümer von alten Uhren erwartet meistens, dass seine Uhr wie im neuwertigen Zustand (selbstverständlich!) funktioniert, wobei ein Museum oder historische Sammlung den historisch gewachsenen Zustand auch zu Forschungszwecken aufbewahren will und somit auch verschlissene oder verreparierte Teile wegen ihrer Originalität in Kauf nimmt, auch wenn die Uhr nicht mehr funktioniert. Allerdings kann eine "tote" Uhr ihre historische Technik nicht mehr zur Schau stellen (es sei denn, man macht eine detailtreue funktionierende Kopie als Demonstrationsobjekt).


Uhrmachern, von denen Uhren mit Viertelstundenschlagwerk mit koaxialen Rechen bekannt sind:
Name Vorname Ort
Achenbach Hermann Neuwied
Berger
Niederstetten (Bad Mergentheim)
Feindler Heinrich Siegen
Fink Cyriakus Würzburg
Forstmann
Lohne
Henn Philipp Nikolaus Odernheim Glaan
Hoff Friedrich Karl Frankfurt
Joste Louis Koblenz
Kinzing Christian Neuwied
Kinzing Peter Neuwied
Klein Johann Anton Miltenberg
Langmuth
Wertheim
Liebherr
Joseph
München
Möllinger
(sowie seine Söhne und andere pfälzische Uhrmacher, die das Handwerk hier gelernt haben; bezeichnend die schöpferlose Ausführung)
Johann Jacob Neustadt an der Weinstraße
Müller Johann Christian Mannheim
Pfeffer Leonard Würzburg
Pilgrim Friedrich August
Caub (Kaub)
Pracht Josef Kaufbeuren
Roetig Johann Anton Hachenburg
Schmidt Georg Bamberg
Schröder Franz Ödingen
Spies Johann Georg Siegen
Spies Johann Henrich Siegen
Stahlschmidt Johann Peter Freudenberg
Steiner Johann Baptiste Würzburg
(Diese Tabelle erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.)


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Letzte Aktualisierung 06.10.2013